News

25.09.2018

Bruchstellen und Umbrüche

Niemand ist vor Schicksalsschlägen, bewusst getroffenen Entscheidungen oder persönlichen Einschnitten, die grundlegend ins Leben eingreifen, gefeit. Gesellschaftliche, technologische und politische Veränderungen sind häufig erst mit Abstand als solche erkennbar. «Zürich liest’18» geht solchen Bruchstellen und Umbrüchen nach. 

Bürgerkriege, Revolutionen, Streik

Vom Balkan über Afghanistan, den Irak oder Südsudan bis hin zu den aktuellen Ereignissen in Syrien und der Ukraine: Der Bürgerkrieg ist zur vorherrschenden Form politischer Gewalt in unserer modernen Welt geworden. Der renommierte Globalhistoriker David Armitage stellt sein neues Buch «Bürgerkrieg» vor und diskutiert mit seinem Kollegen von der Universität Zürich, Martin Dusinberre. Der Krieg in Afghanistan schlägt nicht nur im Land selber verheerend Wunden, auch westliche Soldaten, die aus dem Krieg heimkehren, sind oft nicht mehr dieselben. Kultautor Philipp Djian stellt zwei von ihnen in den Mittelpunkt seines neuen, in Frankreich bejubelten Romans «Marlène», den er bei «Zürich liest» präsentieren wird. Der Anschlag auf «Charlie Hebdo» war nicht nur für Paris ein traumatisches Erlebnis. Die kluge Oksana Sabuschko geht in ihrem Essay «Der lange Abschied von der Angst» den Auswirkungen des Attentats nach – und sucht Parallelen zwischen dem Einmarsch der Nationalsozialisten in Frankreich und der russischen Besatzung der Krim seit 2014. Ist die Ukraine ein «failed state»?, fragt sie. Um die Ukraine und die Russische Revolution geht es auch, wenn Mark Zak und Hanna Mittelstädt dem Leben des ukrainischen Anarchisten Nestor Machno folgen: Wer war dieser Mann, der verbittert im Pariser Exil verstarb?

Auch in der Schweiz fürchteten bürgerliche Politiker und Unternehmer eine Revolution, den Streik der Bankangestellten 1918 sahen sie als Hauptprobe dafür. Der Bundesrat liess in Zürich demonstrativ Truppen aufmarschieren, was schliesslich zum Landesstreik führte. Bei «Zürich liest» gibt es dazu ein prominent besetztes Podium – und eine romanhafte Schilderung der Ereignisse von Nicole Billeter. Der Landesstreik hatte noch lange Auswirkungen auf die politische Befindlichkeit der Schweiz. Erst 1968 änderte sich die Wahrnehmung. Womit wir beim «Schauplatz 68» angelangt wären, der natürlich auch im Rahmen von «Zürich liest» thematisiert wird.

Vor der Revolution war die Reformation. Mehr dazu kann man im Gespräch mit dem Pfarrer am St. Peter, Ueli Greminger, erfahren. Oder aus dem Roman «Glocken und Kanonen» von Kaspar Schnetzler. Und auch das Junge Literaturlabor JULL hat sich mit der Reformation beschäftigt.

 

Krankheit, Tod und die Lust auf Veränderung

Veränderungen zeitigen häufig im Kleinen und Privaten viel stärkere Auswirkungen als sie für die Gesellschaft tatsächlich bedeuten. Schriftstellerinnen und Schriftsteller haben ein besonderes Gespür dafür, die Bruchstellen und Umbrüche aufzunehmen. Bei Margrit Schriber etwa kämpft die Protagonistin mit den Auswirkungen der neuen Autobahn auf ihre Tankstelle. Bei Arno Camenisch sehen zwei Männer am Skilift dem letzten Schnee entgegen. Wie es ist, mit wenig Geld zu leben, kann man in der Caritas-Zürich-Schreibwerkstatt erfahren. Leise Storys über Glück- und Erfolglose präsentiert Sybil Schreiber. Was sich zwei Heimkinder in ihrem Briefwechsel mitzuteilen haben, zeigt Lisbeth Herger. Heute würden sie vielleicht SMS austauschen, auch darüber lässt sich diskutieren.

Wie geht man mit einer Alzheimer-Diagnose oder einer schweren Krankheit um? Antworten darauf liefern die neuen Bücher von Hansjörg Schertenleib und Miriam Maertens. Die Theologin Sabrina Müller beschäftigt sich eingehend mit dem Umgang mit Trauer und Suizid. Einen eher heiteren Zugang zum Thema Tod findet Christoph Gilberg – und tanzt vielleicht einen Walzer. Im neuen Roman von Heinz Helle dagegen stirbt ein Bruder und werden Antworten auf die grossen Fragen des Lebens gesucht.

Wie es ist, sein Land verlassen zu müssen? Darüber können drei Frauen aus erster Hand Auskunft geben: Ruska Jorjoliani kommt aus Georgien und lebt in Palermo. Golnaz Hashemzadeh Bonde ist aus dem Iran nach Schweden ausgewandert. Żanna Słoniowska ist eine polnische Ukrainerin, die in Warschau lebt. Was verbindet sie, was trennt sie? Das erkunden sie im gemeinsamen Gespräch – und bringen natürlich ihre neuesten Bücher mit. In einem neuen Land lebt und schreibt auch Bessa Myftiu, die man bei «Zürich liest» gleich zweimal erleben kann, auch mit musikalischer Unterstützung von Elina Duni. Mehrsprachig wird es auch mit «Kosovë ist überall», dem Dialog von «Bern ist überall» mit kosovarischen Autorinnen und Autoren.

Gianna Molinari beschreibt in ihrem preisgekrönten Roman, wie eine junge Frau sich in einen neuen Lebensabschnitt begibt: «Hier ist noch alles möglich». Das Genre wechseln, das machen gerade auffallend viele Journalisten und Journalistinnen. Warum und wieso? Das erklären Simone Meier, Res Strehle, Sacha Batthyany und Christine Brand.

Einer, der immer wachsam sein Auge auf politische und gesellschaftliche Entwicklungen geworfen hat, ist Franz Hohler – er spaziert bei «Zürich liest» durch sein Gesamtwerk. Wie wird man zu dem, der man ist? Hören Sie zu, wenn Hansjörg Schneider, Peter Bichsel und Bodo Kirchhoff auf ihr eigenes Leben zurückblicken.

Auf einen Umbruch möchten wir noch speziell hinweisen, nämlich den, der in der Buchherstellung zum Zuge kommt. In einem Workshop lernen sie von Patrizia Grab und Ulrike Groeger dazu mehr – und auch zu Hurenkindern.


zurück